Texterin: Katharina Tank
Herr Geffken, beim Mitteldeutschen Marketingforum werden Sie über die „Unternehmensstory als Kern der 360°-Kommunikation“ sprechen. Welche Geschichte erzählt eine Unternehmensstory?
Unternehmensstories kann man grob in drei Kategorien einteilen: Es gibt zum einen Stories, die sich organisch aus der Firmengeschichte entwickeln – meist ist das bei älteren, traditionsreichen Unternehmen der Fall. Ein gutes Beispiel ist die Marke Mercedes-Benz: Hier bildet die Aussage „Wir sind die erfahrensten Autobauer, weil wir das Automobil erfunden haben“ den Kern der Unternehmensstory. Dieser Kern wird – wie gerade bei den aktuellen Spots des Unternehmens sehr schön zu sehen – immer wieder aktualisiert.
Dann gibt es Stories, die zwar auch schon lange am Markt etabliert sind, aber einem Unternehmen irgendwann im Lauf seiner Geschichte quasi „aufgepfropft“ worden sind. Denken Sie an Audi: das war lange Zeit eine eher langweilige Marke ohne große Historie – bis sie den Quattro-Antrieb erfunden haben. Das war der Ursprung der Story „Vorsprung durch Technik“, die seitdem eine starke und nicht mehr wegzudenkende Komponente des Markenbildes ist.
Und schließlich gibt es Stories wie EDEKAs „Wir lieben Lebensmittel“. Das sind kleine Stories, die aus einer aktuellen Marktsituation heraus der Abgrenzung zum Wettbewerb dienen sollen, die sich aber nicht zwingend aus der Historie der Marke heraus ergeben. Solche Story-Elemente wirken sich zwar kurzfristig aufs Image aus – vor allem, wenn sie wie im Beispiel EDEKA konsequent über alle Kanäle hinweg durchexerziert werden. Ob sie aber langfristig als differenzierender Faktor wahrgenommen werden und/oder sogar die Verkaufszahlen steigern, hängt stark von der Marktentwicklung ab.
Und warum sollte man solche Geschichte erzählen? Was habe ich als Unternehmer davon?
Nun, zunächst wird der Konsument heute mit Werbung geradezu überflutet. Wer hier herausstechen will, muss zum einen wiedererkennbar sein, und er muss zum anderen emotionale Nähe erzeugen. Geschichten helfen dank ihrer größeren emotionalen Tiefe dabei, User zu erreichen. Archetypische Erzählformen wecken einfach ein größeres Interesse als beispielsweise Promi-Testimonials – ein entscheidender Vorteil in Zeiten massiv gestiegenen Medienkonsums, in denen TV, Smartphone, Streamingdienste und viele andere Medien um die Aufmerksamkeit der Zielgruppen konkurrieren. Und weil die Menschen heutzutage auf so vielen unterschiedlichen Kanälen unterwegs sind, spielt die virale Verbreitung eine immer wichtigere Rolle. Erfahrungsgemäß klappt die bei Geschichten, die interessant, anrührend, überraschend oder witzig sind, besonders gut.
Wichtig ist allerdings, dass man sich von vornherein über seine Ziele im klaren ist: Geht es um Imagebildung oder um bessere Verkaufszahlen? Denn Unternehmensstories tragen zur Markenbekanntheit, Markenbindung und Markensympathie bei, wirken aber in der Regel nicht verkaufsfördernd.
Wann und wo ist meine Geschichte für meinen Kunden interessant?
Die Frage ist eher: wo, wann und wie schaffe ich es, das Interesse des Kunden für meine Geschichte zu wecken? Leider gibt es hier kein Patentrezept. Fest steht nur eins: „einfache“, herkömmliche Werbemaßnahmen funktionieren heutzutage immer weniger. Die konkrete Strategie muss sich nach den jeweiligen Zielgruppen, dem beworbenen Produkt, dem Unternehmen und dem Kommunikationsanlass richten. In vielen Konzeptionen spielt die virale Ebene mittlerweile eine große Rolle: Es gibt ganze Kampagnen, die darauf aufbauen.
Ist Storytelling in Werbung, Marketing und Unternehmenskommunikation etwas Neues?
Jein. Die Strategie des Storytelling gibt es, seit es Werber gibt. Schon in der Werbung der 1950er und 1960er Jahre finden Sie Storytelling-Elemente – vom Slice-of-life-Spot mit kleinen Alltagsgeschichten über Werbefiguren à la Meister Proper oder der Ariel-Clementine bis hin zu durcherzählten Geschichten. Das Konzept steht heute aber viel stärker im Fokus der Werber, weil es auf so vielen Kanälen und damit extrem nachhaltig einsetzbar ist. Diese erhöhte Aufmerksamkeit spiegelt sich auch in der theoretischen Beschäftigung wider, die deutlich intensiver geworden ist.
Ist Storytelling ein kurzlebiger Hype? Oder deutet dieser Hype auf eine grundlegende Trendwende im Marketing hin?
Die Diskussion um Storytelling wie auch um das Content Marketing befindet sich sicher gerade auf ihrem Höhepunkt. Der Hype wird sich aber wohl wieder legen – auch, weil es selbst bei richtig gut gemachten Spots und Aktionen keine Erfolgsgarantie gibt. Aber Storytelling und Content Marketing werden auf jeden Fall relevant bleiben als Konzepte, wie man die neuen technischen und kommunikativen Möglichkeiten wirkungsvoll nutzen kann. Denn nicht Storytelling oder Content Marketing haben die Werbewelt verändert, sondern die vielen neu hinzugekommenen Kommunikationsplattformen und Kanäle im Online- und Social Media-Bereich, die es im Zuge von Cross-Channel-Konzeptionen zu bespielen gilt. Hier hat sich ein grundlegender struktureller Wandel im Marketing und in der Unternehmenskommunikation vollzogen, und Storytelling kann als Klammer fungieren, die die verschiedenen Kanäle zusammenhält.
Wenn jetzt alle Geschichten erzählen – wie schaffe ich es, dass sich meine Geschichte von der Masse abhebt?
Klar: Wenn alle gute Geschichten erzählen, egalisieren sich die Effekte irgendwann, weil es dann wieder schwieriger wird, sich deutlich von der Masse abzuheben. Schon jetzt werden erfolgreiche Spots und Ideen kopiert, meist haftet solchen Me-too-Spots aber etwas Epigonales an, sie wirken einfach nicht authentisch. Wobei Authentizität allein auch kein Patentrezept ist.
Was macht denn für Sie persönlich eine gut erzählte Geschichte aus?
Sie muss einen Überraschungsmoment enthalten: etwas, was ich gar nicht erwartet oder – noch besser – noch nie gesehen habe. Denken Sie an den Audi, der in einem legendären TV-Spot von 1986 die Skisprungsschanze hochfährt. Und sie muss natürlich Emotionen ansprechen, etwa Trauer, Mitleid, Empörung wecken. Ganz wichtig finde ich dabei, dass man verantwortungsvoll umgeht mit den Gefühlen, die man freisetzt. Man sollte sie nie zu unlauteren Zwecken instrumentalisieren, wie es heute etwa im Politik-Marketing üblich ist, wenn Populisten bewusst Ängste, Ohnmachtgefühle oder Wut provozieren. Ich denke, bei allem, was potentiell schädlich ist – etwa Alkohol, Zigaretten oder auch stark zuckerhaltige Lebensmittel –, sollte man in der Werbung auf Emotionalisierung verzichten.
Ein Beispiel für gelungenes Storytelling?
Der Hornbach-Hammer: eine witzige Idee, sehr schön ausgearbeitet bis hin zur Verknappung bei der Stückzahl im Verkauf, dazu konsequent crossmedial umgesetzt und einfach ideal zum Image der Marke passend.
Sie selbst sind nicht nur Werber, sondern auch Journalist. Was können Werber von Journalisten lernen?
Die Liebe zur Präzision und zur guten Sprache.
Und Journalisten von Werbern?
Mut zur Originalität.
Herr Geffken, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Die Fragen stellte Katharina Tank.